Fragments proposés
Miriam Hamann, Constanze Schweiger, Javiera Tejerina-Risso
Fragments proposés
Miriam Hamann, Constanze Schweiger, Javiera Tejerina-Risso
Eröffnung: Sa, 31.8.2024 um 16 Uhr
Es sprechen: Hans Hornyik (Stadtrat) und Katja Stecher (Künstlerische Leitung und Obfrau Kunstverein Baden)
Ausstellungsdauer: 1.9.2024 - 20.10.2024
Die Ausstellung Fragments proposés gibt Einblicke in einen künstlerisch-kuratorischen Austausch, der im Rahmen einer Residency im Mai 2024 in Paris begonnen hat. Dabei wird nicht nur die Kollektivität des Kunstschaffens unterstrichen, dessen Idee sich irgendwo zwischen den Teilnehmenden, den Materialien, den Dimensionen, zwischen der Welt und ihrem Spiegel bewegt. Die präsentierten Arbeiten stellen auch die Messbarkeit dynamischer Prozesse zur Disposition.
Fragments proposés
Text von Cara Lerchl
Kunst kann ein Spiel mit dem Zufall sein, und der Zufall ist ein wesentliches Element des „Cadavre Exquis“. Entwickelt von André Breton und den Surrealist*innen, bietet die Methode des kollaborativen Zeichenspiels Raum für unvorhergesehene Text- und Bildkreationen. Es gibt keinen Plan, nur die Aktion führt zu einem Ergebnis. Die Idee des Prozesses manifestiert sich auch in der Gruppenausstellung Fragments proposés im Kunstverein Baden. Die Künstlerinnen Miriam Hamann, Constanze Schweiger und Javiera Tejerina-Risso nähern sich diesem Prinzip durch die Verwendung und Neuinterpretation von Fragmenten aus ihren früheren Arbeiten an: Ein Werk kann wieder auftauchen und sich in einem anderen fortsetzen. So wird beispielsweise ein Stück Baumwollstoff, das gefaltet, mit natürlichen Materialien gefärbt, getrocknet und anschließend an einer Gebäudefassade installiert wurde, erneut aufgegriffen. Jede Künstlerin knüpft dort an, wo sie aufgehört hat und verfolgt dabei einander verbindende Aspekte. Im Kern geht es um eine Beziehung zu Zeit und Prozess; als singuläre Untersuchungen abstrakter Konzepte fügen sich die Fragmente von Hamann, Schweiger und Tejerina-Risso im Raum zu einem großen Ganzen zusammen. Die Ergebnisse dieser selbstreferenziellen Analysen, die sich an den Prinzipien von Natur und Wissenschaft orientieren, sind ruhige, kontemplative und zugleich transformative Arbeiten.
Tejerina-Risso und Schweiger bedienen sich traditioneller Handwerkstechniken, um das verwendete Material innerhalb einer kurzen Zeitspanne durch natürliche Prozesse zu verändern – dabei wird ihre Arbeitsweise zum phänomenologischen Experiment. Mit Einfachheit und ritueller Präzision betonen beide Künstlerinnen die Qualitäten des jeweiligen Werkstoffs und machen seine Reaktion auf Umweltbedingungen, wie Klima und Licht, sichtbar. In ihrer neuen Serie Donde empieza el fin del mar (2024) arrangiert Tejerina-Risso jene Materialien, die sie bei Wanderungen in der Natur gesammelt hat auf Papierbögen. Muscheln, Pflanzenschalen oder Stücke von Treibholz treffen dort auf zarte, fragmentarische Metalle. Im Unterschied zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Material wird hier ihre intensive Beschäftigung mit dem Thema der Migration deutlich. Indem sie das Wasser mit der Bewegung und die Bewegung mit dem Phänomen der Metamorphose verbindet, wird ihre kontinuierliche Befragung natürlicher Rhythmen gewissermaßen zur Feldstudie. Während das verwendete Amate-Papier, das einst bei rituellen Zeremonien mesoamerikanischer Hochkulturen zum Einsatz kam, die Form einer Landschaft andeutet, greift Tejerina-Risso in der gleichnamigen Performance auf ein Repertoire folkloristisch anmutender Gesten zurück. Um skulpturale Formen zu gewinnen, taucht sie Kupferplatten ins Salzwasser, die schließlich durch die Kraft des Meeres oxidieren oder sogar in Stücke gerissen werden.
Ebenso widmet sich Schweiger der transformierenden Kraft des Wassers, seiner Fähigkeit, Vergangenheit und Gegenwart mit dem Vergänglichen und dem Unendlichen zu verbinden. Mit akribischer Hingabe zum Detail verwandelt sie organische Ausgangsmaterialien in symbolische Elemente eines formalen Arrangements. So sind die Stoffbahn aus gefärbtem Baumwollgewebe A kind A round (2022/24) ebenso wie die zwei kleineren Färbeproben A kind A round (Färbeprobe 1 und 2, 2022) Fortführungen bereits realisierter Arbeiten und entsprechen dem Verständnis der Künstlerin ihre Praxis als fortlaufende Erzählung zu begreifen, die mit jeder Ausstellung bereichert wird. Nach dem Prozess des Faltens hat Schweiger den mit Rotwein gefärbten Stoff in einer sogenannten „Entwicklung“ mit Eisen bearbeitet und das Textil unter fließendem Wasser ausgewaschen. Unter Anwendung dieser jahrhundertealten Technik können die Gerbstoffe in den Fasern durch den unmittelbaren Kontakt von Eisensalzen und Wasser oxidieren – bis das einstige Rot in ein gedämpftes Grau übergeht. Wie autonome Körper, in denen Material und Umgebung miteinander reagieren, nehmen die Textilien während des langsamen Trocknens im Gras unterschiedliche Farbtöne an. Schweigers künstlerische Praxis steht im Einklang mit der Phänomenologie des französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty – insbesondere durch den Fokus auf verkörperte Erfahrung, Materialität und das Zusammenspiel von Wahrnehmung und Gestaltung. Denn Schweigers Materialien fungieren nicht nur als passive Objekte, sie werden bei der Herstellung von Bedeutung zu aktiv Teilnehmenden.
Licht als skulpturales Material kommt hingegen in Hamanns raumgreifender Installation And the point is called the center of the circle (2023/24) zum Einsatz. Sie interpretiert die euklidschen Sätze der Geometrie neu, indem sie die detaillierten Zeichnungen des antiken Gelehrten zerlegt und als leuchtende Linien in den Raum überführt. Hier wird auch Hamanns Interesse deutlich, die tradierten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Natur durch künstlerische Prozesse umzudeuten. Dabei verfolgt sie das Ziel, jene unsichtbaren Strukturen aufzuzeigen, die unsere Realität als komplexe Systeme physikalischer, wissenschaftlicher und technologischer Phänomene im Kontext westlichen Wissens formen und bestimmen. Neben der Überprüfung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Darstellung der Wirklichkeit ist die genaue Beobachtung der unmittelbaren Umgebung ein weiteres zentrales Merkmal in Hamanns Praxis. Das leuchtende Neonschrift wo ich bin herrscht caos (2023) greift ein Zitat auf, das die Künstlerin zufällig in einem verlassenen Gebäude entdeckt hat. Obgleich falsch geschrieben, verweist „caos“ auf das griechische Wort „cháos (χάος)“, das – im Unterschied zum herkömmlichen Verständnis – so viel wie „leerer Raum“ bedeutet und damit an die Vorstellung von Leerstand und seinem Potenzial für das Prozesshafte anknüpft. Im Zusammenspiel von Licht, Sprache und Geometrie stellt Hamann nicht nur konventionelle Interpretationen von Ordnung und Raum zur Disposition, sie hinterfragt auch Chaos und Struktur im physikalischen und konzeptuellen Bereich.
Fragments proposé - Cara Lerchl (Originaltext in Englisch)
Übersetzung: Katja Stecher
Miriam Hamann lebt und arbeitet in Wien und Linz. Sie studierte TransArts an der Universität für Angewandte Kunst, davor Kunst und kommunikative Praxis. In ihren skulpturalen und installativen Arbeiten geht sie der Frage nach, wie unsere Realität strukturiert ist. Technologische und wissenschaftliche Erkenntnisse spielen dabei ebenso eine Rolle wie die immateriellen Materialien Licht und Sound. Hamann nahm an zahlreichen Artist Residencies sowie nationalen und internationalen Ausstellungen teil und erhielt für ihre Arbeiten diverse Stipendien und Preise.
Constanze Schweiger lebt in Wien und Paris. Sie arbeitet in den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Grafikdesign und Verlagswesen. Ihre Praktiken unterstützen und informieren sich gegenseitig, die Ergebnisse ihrer Produktion beziehen sich auf materieller, inhaltlicher, formaler, konzeptioneller und ökonomischer Ebene aufeinander. In ihrer Arbeit verwendet die Künstlerin Textilien und textile Verfahren, um Skulpturen herzustellen, die das Verhältnis von Zeit und Komposition sowie von Zeit und individueller Perspektive thematisieren.
Seit 2020 wird sie von der Galerie Wonnerth Dejaco vertreten.
Javiera Tejerina-Risso lebt und arbeitet in Marseille, Frankreich. Ihre Arbeiten, die sich gleichermaßen auf wissenschaftliche Methoden und Symbolik stützen, erforschen den Begriff der Bewegung: Strömungsmechanik und die Mythologien der Abgeschiedenheit werden heraufbeschworen, um uns mit den Auswirkungen der Natur zu konfrontieren. Labor und Galerie sind gleichermaßen Beobachtungsorte, in denen sie poetische Experimente mit den Elementen durchführt und diese so weit abstrahiert, dass sie zu dimensionslosen Größen werden.